Ich habe mich vor ein paar Tagenm mal als Schriftsteller versucht.
Das Interview -Klarabella-
Nele sah sich in dem kleinen Cafe um, das auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Ihre Finger trommelten ungeduldig auf der zerkratzten Tischplatte mit den leeren Cappuccinotassen während sie auf die Bedienung wartete, die noch damit beschäftigt war, Geschirr aus der betagten Spülmaschine zu sortieren. Julia saß ihr gegenüber am Fenster und überprüfte noch einmal ihre Kamera und das Diktiergerät, bevor sie beides in den unendlichen Tiefen ihres großen Shoppers verschwinden ließ. Als die Bedienung die Rechnung brachte gaben beide ein knapp bemessenes Trinkgeld und verließen umgehend das kleine Cafe. Sie traten auf die Straße und stellten sich dem leichten Nieselregen.
Nele und Julia waren freie Mitarbeiterinnen einer kleinen unbedeutenden Zeitschrift. Nichts berauschendes, aber immerhin besser als nichts. Die wortgewandte Nele konnte gut mit Menschen umgehen und zeigte immer wieder viel Geschick bei ihren Interviews. Julia dagegen war die Technikerin. Dank ihrer abgebrochenen Ausbildung als Fotografin war sie fähig, brauchbare und aussagekräftige Bilder zu machen.
Heute sollten sie im Zusammenhang mit einer Reportage über Menschen, die bereits für tot erklärt waren, aber wieder in´s Leben zurückgeholt werden konnten einen 41 jährigen Mann interviewen. Die Adresse, die sie von der Redaktion erhalten hatten war ganz in der Nähe. Es lohnte sich nicht den altersschwachen Renault aus der Parklücke zu manöverieren, nur um gleich wieder einen neuen Parkplatz zu suchen.
Nele schlug beherzt ihren Kragen hoch und marschierte zielstrebig in die angegebene Richtung. Julia musste sich beeilen, um den Anschluss nicht zu verpassen. Bereits nach wenigen Minuten standen sie vor einem unansehnlichen Mietshaus, in dem offensichtlich 6 Mietpartien untergebracht waren. Nele sah mit gerunzelter Stirn an der Fassade empor und meinte: „Krösus dürfen wir hier wohl nicht erwarten“ Julia schnaubte durch die Nase und erwiderte trocken: „was erwartest du überhaupt noch? Das ist nur ein Spinner unter vielen. Die Story kennen wir doch mittlerweile in allen Variationen. Lass es uns hinter uns bringen.“
Nele inspizierte die Namen auf der Metalltafel mit den Türklingeln. „Da, sagte sie: Peter Morlok, das ist er.“ Beherzt drückte ihr Finger auf die Klingel und bereits nach wenigen Augenblicken ertönte der Türsummer und sie betraten das Treppenhaus. Ein schmaler, langer Gang, von dem zu beiden Seiten je eine Wohnungstür abging, führte zu einer ausgetretenen Steintreppe. Das Treppenhaus roch nach Reinigungsmitteln und Küchendünsten. Eine Neonröhre erhellte den Raum mit kaltem Licht.
Julia sagte: „wir müssen eine Treppe hoch. In der Anschrift steht, er wohnt im ersten Stock“ Die beiden Frauen stiegen die Treppe hoch und standen in einem ebenso langen Hausflur, wie sie ihn unten bereits durchlaufen hatten. In diesem Moment öffnete sich die rechte Wohnungstür und ein Mann in mittlerem Alter sah ihnen interessiert entgegen. „Sie sind die Damen von der Zeitschrift?“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Nele streckte spontan ihre Hand aus und stellte sich vor: „Guten Tag, Herr Morlok. Mein Name ist Nele Wolper und das ist meine Kollegin Julia Ruos. Wir kommen von der Lila Post und möchten uns gerne mit ihnen unterhalten.“
Peter Morlok machte enen Schritt zurück in seine Wohnung, wobei er mit der Hand eine einladende Geste machte und die beiden Frauen zum eintreten aufforderte.
Nele und Julia fanden sich in einer geräumigen Diele wieder. Die gegenüberliegende Tür war offen und gab den Blick auf einen Sessel und ein altmodisches Fernsehgerät frei. Offensichtlich das Wohnzimmer. Und richtig, Peter Morlok forderte die beiden Frauen auf in das Zimmer zu treten. Unauffällig sah sich Nele um. Alles war pickobello sauber und aufgeräumt. Die Möbel waren billig und stammten bestimmt aus einem Versandhaus. Das Zimmer machte einen unpersönlichen und anonymen Eindruck. Nele stellte zu ihrer Verwunderung fest, es gab nirgends ein Buch, keine Bilder und auch sonst nichts, was etwas über den Bewohner ausgesagt hätte. Der Raum hatte den Charme eines Hotelzimmers der gehobenen Unterklasse. Während Nele die Atmosphäre noch auf sich wirken ließ, hatte Julia sich vorsichtig auf den Rand eines Sessels gesetzt. Morlock setzte sich auf das Sofa und gab Nele mit einer Geste zu verstehen, sie sollte sich neben ihn setzen. Das war ihr nicht recht. Auf jeden Fall bevorzugte sie es, während eines Gespräches ihrem Opfer gegenüber zu sitzen. Für sie waren nicht nur die Worte sondern auch die kleinen Gesten und die Mimik wichtig. Aber es gab kein Gegenüber. Julia wühlte bereits in ihrer großen Tasche und förderte ihre Gerätschaften zu Tage. „sie haben doch nichts dagegen wenn wir unsere Unterhaltung aufnehmen und ich vielleicht auch 2 oder 3 Bilder von ihnen mache?“ fragte sie.
Morlok sagte nichts, sondern schüttelte nur leicht mit dem Kopf. Das wertete Julia als Einverständnis und legte Kamera und Diktiergerät auf den Couchtisch.
Nele setzte sich nun so, dass sie ihn wenigstens von der Seite sehen konnte. Zu ihrer Erleichterung wendete auch Morlok sich zu ihr. Na gut, dann musste es eben so gehen. Lange würden sie sich sowieso nicht aufhalten. Mit einem kurzen Seitenblick vergewisserte sie sich, dass Julia das Diktiergerät eingeschaltet hatte. Routiniert lächelte sie Morlok an und begann das Gespräch.
„Herr Morlok, wir haben gehört, sie gehören auch zu den Personen, die bereits dem Tod näher waren als dem Leben? Wie kam es dazu, und an was können sie sich noch konkret erinnern?“
Morlok schlug die Beine übereinander und legte den rechten Arm auf die Sofalehne. Unwillkürlich rückte Nele ein kleines Stück weiter von ihm ab. Morlok ließ nicht erkennen, ob er dieses kleine Manöver bemerkt hatte. Unverwandt schaute er Nele in die Augen und schwieg erst einmal. Kurz bevor es Julia unbehaglich zu werden begann fing er mit leiser, aber gut artikulierter Stimme an zu sprechen.
„es passierte vor gut 2 Jahren, an einem Tag wie morgen“ Nele stutzte und lächelte unsicher. „Sie meinen, an einem Tag wie heute?“ „Das spielt doch gar keine Rolle. Heute oder Morgen. Das macht keinen Unterschied.“ Winkte Morlok ab. „auf jeden Fall hat es stark geregnet als es passierte.“ Nele und Julia sahen unwillkürlich beide gleichzeitig aus dem Fenster. Draussen fiel noch immer der leichte Nieselregen. Morlok sprach weiter: „ ich war mit meinem Motorrad auf dem Weg nach Hause. Ich hatte meinen Bruder drüben in Kappelrodeck besucht. Es war kein freundschaftlicher Besuch. Aber mein Bruder schuldete mir schon seit längerem eine größere Summe Geld und daran wollte ich ihn wieder einmal erinnern. Wir bekamen Streit und trennten uns nicht gerade in gutem Einvernehmen. Das letzte was ich von ihm gehört habe, als ich losgefahren bin war: fahr zur Hölle, du Hund!“
An diesem Abend war nur wenig Verkehr auf der Schwarzwaldhochstraße und ich konnte es so richtig ziehen lassen. Meine ganze Wut und Enttäuschung habe ich in die gefahrene Geschwindigkeit gelegt. Ich habe die Kurven geschnitten und der Wald rauschte nur so an mir vorbei. Ich wollte über den Ruhestein und dann weiter über den Schliffkopf zum Kniebis. Plötzlich, aus dem Nichts steht da diese Lastwagen hinter der Kurve. Ich konnte nicht einmal mehr den Versuch machen dem Hindernis auszuweichen. Ohne zu bremsen bin ich auf den LKW aufgefahren, mit ca. 180 Sachen. Und das wars.
Während Nele gespannt dem Bericht von Morlok lauschte hatte Julia sich ihren Gastgeber einmal genauer angesehen. Er war ein gut aussehender Mann in den mittleren Jahren. Seine Markanten Gesichtszüge und das dichte volle Haar, das er etwa auf Schulterlänge trug machten ihn durchaus attraktiv. Nur die Augen passten nicht so recht dazu. Nele konnte nicht einmal sagen, was damit nicht stimmte. Sie waren irgendwie….seltsam. Das erste Mal war ihr das aufgefallen, als sie durch den Sucher ihrer Kamera gesehen hatte. Sie hatte 2 Aufnahmen von Nele und Morlok während des Gesprächs gemacht. Seine Augen reflektierten ganz eigenartig. Das konnte aber nur an den Lichtverhältnissen liegen.
Nele sah ihren Gesprächspartner noch immer auffordernd an. „Und dann?“ fragte sie. „was geschah dann?“ „Nichts“, sagte Morlok. Ich sagte doch bereits, dass es das war.
„Aber was haben sie gefühlt und empfunden, als sie gerettet wurden?“ hakte Nele nach. Morlok stand auf, steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans und sah zum Fenster hinaus. So stand er eine ganze Weile unbeweglich. Als er sich umdrehte bekamen die Frauen einen Schreck. Seine Augen funkelten fanatisch als er mit deutlich erhobener Stimme fortfuhr: „wer sagt denn, dass ich gerettet wurde?“ Seine rechte Hand fuhr durch die Luft als er laut rief: „und glaubt doch bloß nicht an die Geschichten mit dem wunderbaren Licht. Oder die Engelsgesänge. Da wo jeder hingeht, da gibt es kein Licht. Oh nein. Da herrscht eine unvorstellbare Dunkelheit. Und Engel singen da auch keine.“ Nele, die eigentlich nichts so schnell aus der Fassung brachte rang um Fassung. „alle, die wir bis jetzt gesprochen haben, haben von diesem Licht berichtet. Von der Dunkelheit hören wir jetzt zum ersten Mal. Morlok stieß ein höhnisches Lachen aus. Julia machte nochmals ein Bild von ihm, wie er da wie ein Racheengel vor ihnen stand. Nele ließ sich so schnell nicht einschüchtern. „Wie erklären sie sich dann aber die Übereinstimmungen von all den Menschen, die bereits klinisch tot waren. Sie berichten unabhängig voneinander alle von diesem wunderbaren Licht.“ Morlok sah sie fast mitleidig an. „diese Menschen waren vielleicht klinisch tot, aber sie haben diese Welt nie verlassen. Das was die als wunderbares Licht gesehen haben, waren die Lampen im OP, als sie wieder zu sich gekommen sind. Verstehen Sie? Diese Leute waren nie tot. Sie sind nie durch die Tür gegangen.“
Julia rutschte unbehaglich auf ihrem Sessel hin und her. Das hier war wohl der extremste Spinner von allen, die sie bis jetzt besucht hatten. Ihr langte es eigentlich. Sie wollte so schnell wie möglich weg hier. Aber Nele gab nicht so schnell auf. „Wollen sie damit andeuten, sie sind seit 2 Jahren tot?“ fragte sie mit einer leichten agressivität in der Stimme. Sie war doch nicht hier, um sich mit so einem Blödsinn abspeisen zu lassen. „Es tut mir leid, dass wir hier mit ihnen unsere Zeit verplempern.“ Entschlossen stand sie auf. Morlok zeigte sich in keiner Weise beeindruckt. Jetzt war seine Stimme wieder sanft und leise, wie am Anfang ihres Gespräches. Er sah Nele fast traurig an und sagte: „auch sie werden die Dunkelheit und das Grauen, das darin wohnt kennen lernen.“ Nach einer kurzen pause setzte er kaum hörbar hinzu „schon bald“. Die beiden Frauen wollten nun so schnell wie möglich raus hier. Sie packten ihre Sachen zusammen und verabschiedeten sich von diesem seltsamen Mann. Er begleitete sie bis an seine Wohnungstür und reichte Nele die Hand. Das war ihr sichtlich unangenehm, aber sie konnte sich nicht aus seinem Griff lösen, ohne unhöflich zu erscheinen. Nocheinmal blickte er ihr eindringlich in die Augen und sagte: „Ich werde Dich morgen um 17:07 an dem Tor erwarten und werde dich hinüber geleiten. Vertraue mir.“ Mit diesen Worten gab er sie frei.
Noch bevor er seine Wohnungstür gesachlossen hatte rannten die Frauen fast die Treppe hinab und auf die Straße. Trotz des leichten Regens zündeten sich beide an der nächsten Straßenecke eine Zigarette an. Hier erst waren sie fähig, über das eben erlebte zu sprechen. Julias Hand mit der Zigarette zitterte leicht, als sie hervorstieß: „so ein Spinner!“ Nele nickte nur. „Ich setze dich zu Hause ab. Heute fahre ich auch nicht mehr in die Redaktion. Ich werde mir das alles zuhause noch einmal ansehen und überlegen, ob und was wir von dem ganzen Mist brauchen können. Vermutlich gar nichts.“ Schnaubte sie.
Die Frauen gingen wortlos zu ihrem Auto und Nele fädelte sich in den Verkehr ein. Julia setzte sie vor ihrer Haustür ab und fuhr dann direkt zu sich nach Hause.
Sie hatte sich gerade eine Kanne Kaffee gemacht den PC hochgefahren und das Textverarbeitungsprogramm gestartet. Das Diktiergerät lag noch auf dem Tisch in der Diele. In diesem Augenblick läutete das Telefon. Es war Julia. Es war ihr deutlich anzuhören, dass sie um Fassung rang. Sie sagte nur: „Nele, bitte komm. Ich habe eben meine Bilder von der Kamera auf den PC übertragen. Das musst du dir selber ansehen. Komm sofort. Bitte!“ Damit hatte sie auch schon wieder aufgelegt. Nele stand unschlüssig da. Julia hatte so dringlich geklungen. Das konnte sie nicht einfach ignorieren. Was war da nur los“ 20 Minuten später hielt sie vor dem Haus, in dem Julia eine winzige Wohnung gemietet hatte. Julia erwartete sie bereits. Sie war kreidebleich im Gesicht und ihre Hände zitterten. „Was ist denn passiert?“ fragte Nele. Sie konnte sich keinen Reim auf Julias Aufregung machen. Wortlos ging Julia in ihr Schlafzimmer, in dem auch ein kleiner Schreibtisch mit ihrem PC stand. Ihre Kamera lag achtlos auf dem ordentlich gemachten Bett. Mit zitternden Fingern öffnete Julia eine Bilddatei und trat vom Monitor zurück. Noch immer hatte sie kein Wort gesprochen. Nele blickte im ersten Augenblick verständnislos auf die geöffneten Bilder. Aber dann wurde ihr schlagartig klar, was sie da sah. „Oh mein Gott! Das gibt es doch gar nicht.“ Ihre Stimme war ganz heiser vor Entsetzen.
Neles Hand tastete sich zu der Maus und sie vergrößerte mit einem Klick das erste der Bilder. Es zeigte einen Ausschnitt des Zimmers. Im Mittelpunkt die billige Couch. Das Bild war gestochen scharf und in der gewohnt guten Qualität, die sie von Julias Arbeiten gewöhnt war. Nelle saß seitlich abgewandt auf der linken Hälfte des Möbels. Sie schien sich jemanden zu unterhalten, der sich knapp ausserhalb des Bildrandes befand. Denn der Platz neben Nele war leer. Sie war alleine auf dem Bild. Fassungslos vergrösserte sie die nächste Aufnahme. Auch hier war Nele die einzige Person die auf dem Bild sichtbar war. Auf dem dritten Bild dasselbe. Kein Peter Morlok. Die beiden anderen Bilder zeigten lediglich einen Auschnitt des Zimmers. Im Hintergrund das Fenster, an dem Morlok während der Unterhaltung gestanden hatte. Aber eben nur die Ansicht des Fensters. Nele ließ sich auf die Kante des Bettes sinken und sah Julia unsicher an. „Das ist ein Schert, nicht wahr? Du hast was mit den Bildern gemacht? Heiute kann man ja so ziemlich alles fälschen.“ Aber ein Blick in Julias Gesicht genügte um ihr klar zu machen, das war kein Scherz. Beide Frauen starrten auf den Monitor, als ob sie alleine mit ihren Gedanken Peter Morlok herbeizaubern könnten. „Was geht da vor?“ fragte Julia mit ganz dünner Stimme. Sie hatte ihre schlanken Finger ineinander verkrampft, so dass die Knöher weiß hervortraten. Lange Zeit sprach keine von ihnen ein Wort. Endlich brach Nele das Schweigen. „Das glaubt uns kein Mensch. Und wir können auch nichts beweisen. Wenn wir das hier an die Redaktion weitergeben, dann machen wir uns nur lächerlich.“ Julia atmete tief durch und sagte: „ich habe Angst.“ „Ich auch“, entgegnete Julia. „Wer war das, mit dem wir heute Nachmittag gesprochen haben?“ Julia zündete sich mit fahrigen Bewegungen eine Zigarette an und inhalierte tief. „ Ich glaube, ich will das gar nicht wissen“ stieß sie zwischen zwei Zügen hervor. „Weißt Du noch, was der Kerl am Anfang seiner Erzählung gesagt hat? Ich hatte es für einen Versprecher gehalten“ flüsterte Nele. „Er sagte, es war ein Tag wie Morgen...“ „Was hat er damit gemeint?“ das gibt doch keinen Sinn. „Wirklich nicht?“ fragte Julia und sah Nele an. „Was wird morgen passieren?“ Mit einem Anflug von Galgenhumor entgegnete Nele: „es wird vermutlich regnen.“ Aber es kam keine Heiterkeit auf. Nele kroch es eiskalt den Rücken herauf. „ Er sagte, er wartet um 17:07 auf mich.“ Wo? Warum?
In dieser Nacht blieb Nele bei Julia. Keine von Beiden hat auch nur ein Auge zugemacht. Nachdem sie eine Flasche Rotwein zusammen getrunken hatten und der Aschenbecher überquoll legten sie sich hin. Julia in ihr Bett und Nele auf dem Sofa in dem kleinen Wohnzommer. An Schlaf war aber bei keiner von ihnen zu denken. Enstsprechend sahen sie am anderen Morgen auch aus. Zusammen nahmen sie ein spartanisches Frühstück aus einem Joghurt und einer Tasse Instantkaffee ein. Es war wohl das beste, wenn sie den heutigen Tag zusammen verbrachten. Im Grunde war ja nur Nele bedroht. Aber Julia fühlte sich, als ob Morlok ihr ebenfalls eine Botschaft übermittelt hätte. Gemeinsam fuhren sie in die Redaktion. Sie hatten sich darauf geeinigt, sie würden das Interview vom Vortag mit keinem Wort erwähnen. Jede ging unkonzentriert ihrer Arbeit nach. Die Kollegen lästerten schon und fragten, wo denn die tolle Party statt gefunden hätte. Erstaunt waren sie lediglich, dass Nele ihre gewohnte Schlagfertigkeit und ihr Wortwitz ausblieben. Die Mittagspause verbrachten Nele und Julia gemeinsam in Neles Büro. Schweigsam saßen sie zusammen in dem kleinen Raum und warteten auf irgend etwas. Ohne zu ahnen, auf was. Plötzlich sprang Nele auf. „Ich mache das nicht mit. Das ist Psychoterror. Ich habe keine Ahnung, was für billige Tricks der Kerl anwendet. Auf keinen Fall werde ich mich hier verkriechen. Um 17 Uhr gehe ich zu dem Bäcker gegenüber und hole uns zwei Stück Kuchen. Und du machst in der Zwischenzeit einen starken Kaffee. Und weißt du was, Julia? Genau um 17:08 Uhr werden wir unseren Kuchen essen und gemeinsam den Mittelfinger in die Luft strecken.“ Julia sah Nele an und sagte: „du wirst um 17 Uhr nirgends hingehen, sondern schön zusammen mit mir in diesem Zimmer sitzen und warten, dass die Uhr weiter tickt. Du wirst nichts herausfordern.“ Nele schüttelte ihren Kopf. „Nein Julia, ich muß mich selber überzeugen dass es sich hier um einen Bockmist ungeahnten Ausmaßes handelt, wenn ich nicht den Rest meines Lebens zweifeln möchte. Und Gnade Gott dem Kerl, wenn ich ihn erwische. Der wird seines Lebens nicht mehr froh.“ Julia versuchte vergebens, Nele von ihrem Vorhaben abzubringen. Aber Nele war fest entschlossen ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Nach der Mittagspause wandte sich jede wieder ihrer Arbeit zu. Allerdings ertappten sich beide dabei, wie ihr Blick immer öfter zur Uhr huschte. Der Nachmittag schien kein Ende nehmen zu wollen. Endlich war es 5 Minuten vor 17:00 Uhr. Die ersten Kollegen hatten sich bereits verabschiedet und waren nach Hause gegangen. Nele nahm ihre Jacke vom Kleiderbügel und ging mit entschlossenen Schritten über den Flur zu Julia. Ohne anzuklopfen stürmte sie durch die Tür und rief: „ich gehe jetzt den Kuchen holen, mach du bitte den Kaffee.“ Julia sprang von ihrem Stuhl auf und sagte: „ich komme mit“ „nein“ entgegnete Nele.“Es muß doch jemand hier sein, der weiß was es bedeutet, wenn ich gesund wieder durch diese Tür komme. Und dann feiern wir, weil der Spuk ein Ende hat.“ Nele holte tief Luft und verließ fast fluchtartig das Zimmer. Julia sah ihr nach und dachte, fast als ob sie vor ihrem eigenen Mut Angst hat. Sie setzte die Kaffeemaschine in Gang und zählte die Minuten.
Nele trat aus der Tür der Redaktion auf den belebten Gehsteig. Erst jetzt merkte sie, dass es in Strömen regnete. Sie hastete die paar Meter bis zu der Fußgängerampel und drückte sich in den Schutz eines Hauseingangs, bid die Ampel für Fußgänger auf grün sprang. Normalerweise wäre sie direkt über die Straße gelaufen. Aber heute wollte sie ihr Schichsal auf keinen Fall herausfordern. Als die Ampel grün war hastete sie mit den übrigen Passanten über die Straße. Keine Minute später stand sie in der Bäckerei. Ausser ihr war niemand im Verkaufsraum anwesend. Sie wählte ohne zu überlegen zwei Stück Kuchen und zahlte. Als sie die Ampel wieder erreichte sprang diese genau in dem Moment wieder auf Grün für die Passanten. Nele machte einen Schritt auf die Fahrbahn, als ihr Blick auf die digitale Zeitanzeige über dem Eingang der Sparkassenfiliale gegenüber fiel. Die Ziffern leuchteten durch den Regen in einem gespenstischen Grün. Die Uhrzeit war 17:06. Wie hypnotisiert blieb Nele stehen und starrte die Uhr an. Sie war wie gelähmt und sie nahm den Motorradfahrer, der viel zu schnell aus einer Seitenstraße kam gar nicht wahr. Ihre Hände hatten sich um das Päckchen mit dem Kuchen gekrallt. Für sie existierte in diesem Moment nur diese Uhr. Als das Motorrad sie erfasste flog ihr Körper wie eine Stoffpuppe durch die Luft. Exakt in dem Moment, als ihr kopf mit einem dumpfen Knall auf das Pflaster aufschlug sprang die Minutenanzeige auf 17:07 Uhr.
Das wäre aber schade. Es hat mir echt Spaß gemacht das zu lesen. Und die Schilderung dieses Kerl, wie er sich umdrehte, mit den irren Augen, das war echt gut geschrtieben.